Stark zu sein ist nicht alles
Alle Power aktivieren, Griffe fester halten, Zähne zusammenbeißen, Luft anhalten – umgangssprachlich „kurz stark sein“ genannt. Das sind nur ein paar meiner Geheimnisse, die mich durch die Schlüsselstellen von schweren Routen bringen. Vielleicht auch die Tatsache, dass lange Abwärtsbewegungen mit einer Beschleunigung von 9,81 m/s² eine gewisse Unsicherheit ausstrahlen und ich dies zu vermeiden versuche. Der Trip nach England, in den Peak District, zeigte mir, dass stark zu sein nur die halbe Miete ist (mittlerweile beharre ich allerdings wieder darauf, dass mit viel Kraft alles gut ist). Mein erster Gedanke war: „Oh mein Gott, das ist verrückt!“ Die Absicherungsmöglichkeiten waren ernüchternd – meistens konnte man frühestens bei der Hälfte der 15 m-Routen ein mobiles Sicherungsgerät in einen Riss oder ein Loch basteln, und hoffen, dass es sich nicht schon beim Weiterklettern verabschiedet. Das Wissen, erst zweimal im Leben mit Gear statt mit Bohrhaken geklettert zu sein, untersagte dem Selbstvertrauen ein progressives Wachstum. Alle Routen mit einem E-Grad zu vermeiden, entpuppte sich als keine Lösung. Einmal im Toprope probiert, lachte mich jede Route an und die Kletterei war meistens einfach zu gut um sich nicht, in einem anfangs nervenaufreibenden Kampf, eine richtige Begehung zu holen. Ich erinnere mich an den Ausspruch eines Freundes der meinte, ein Klettertag ohne persönlichen Kampf, physisch oder psychisch, sei kein richtiger Klettertag. Dementsprechend stellte ich mich der Herausforderung, bekam mein tägliches Adrenalin und das Spiel mit den selbst abgesicherten Touren wurde zur Sucht.